Entgegen der bisher allgemeingültigen Lehrmeinung, dass Kakao nur in die drei Hauptsorten Forastero (bzw. Amelonado), Trinitario und Criollo (bzw. vier Haupttypen, wenn der nur in Ecuador gedeihende Nacional ebenso als einzelne Sorte mitberücksichtigt wird) eingeteilt wird, gibt es inzwischen sehr viel mehr gesicherte Kakaovarietäten: alte und wiederkultivierte Sorten sowie Neuzüchtungen. Die Vielfalt an Kakaosorten ist mit dem europäischen Apfelreichtum vergleichbar. Alleine in Deutschland existierten noch 800 Apfelsorten im 19. Jahrhundert.
Enorme und unterschätzte Vielfalt an Kakaovarietäten
Im Jahr 2008 stellte der auf Kakao spezialisierte Agrarwissenschaftler Juan Carlos Motamayor im Rahmen seiner Kakaoforschungen fest, dass es mindestens zehn genetisch voneinander unterscheidbare Kakaovarietäten bzw. Urtypen gibt, deren Ursprünge im Amazonasgebiet sind. Diese sind Amelonado (Brasilien), Maranon (Peru/Brasilien), Curaray (Ecuador), Criollo, Iquitos, Nanay, Contamana, Purus, Nacional (alle aus Peru), Guiana (Venezuela). Dr. Dapeng Zhang zufolge gäbe es noch die weitere genetische Varietät Boliviano. Es werden permanent weitere Sorten entdeckt, sodass nach aktuellem Stand von mindestens 25 verschiedenen Kakaofamilien unter Forschern die Rede ist. Voraussichtlich gibt es unzählige Hunderte noch nicht klassifizierte Sorten. Da hierzu noch kein Konsens herrscht, zumal noch nicht alle neuentdeckten Sorten als offziell anerkannt gelten, bleibt Motamayors 10-Sorten-Klassifizierung noch der Goldstandard.
Zum Beispiel wurde erst vor wenigen Jahren im kolumbianischen Nationalpark Sierra Nevada eine sehr alte weiße Kakaosorte des Typs Bunsi wiederentdeckt. Wissenschaftliche Untersuchungen laufen zwar noch, es wird aber vermutet, dass der Bunsi-Kakao höchstwahrscheinlich zu den genetisch reinsten Criollo-Sorten gehört, dem der moderne Mensch bisher begegnet ist. In Sierra Nevada, einem bedeutenden Naturreservat Kolumbiens, lebt jetzt wieder seit etwa 10 Jahren im Einklang mit der Natur das indigene Volk der Arhuacos. Jahrhunderte lang durften die Indianer zuerst wegen spanischer Eroberer und dann wegen Drogenmafias ihr Stammesgebiet nicht bewohnen. Seit wenigen Jahren bauen sie wieder mitten im tropischen Urwald diesen alten einheimischen Kakao mit naturnahen, agroforstwirtschaftlichen Methoden an - auf die gleiche Weise wie schon vor 500 Jahren. Dazu gehören zum Beispiel ein Anbau, wie in der Natur vorgesehen, in Mischkulturen, mit geringerer Bestandsdichte und unter regelmäßiger Aufsichtskontrolle durch die Kakaobauern. Ein derart gepflegter Kakao kann so die Aromen der reichen und komplexen Pflanzengesellschaft absorbieren. Qualität steht definitiv vor Quantität - so beugt man von vornherein dem Großteil von Schädlingen vor. Bei Bedarf werden zur Schädlingsbekämpfung natürliche Methoden wie z. B. Brennesseljauchen verwendet. Die indigenen Kakaobauern aus Sierra Nevada ernten momentan jährlich nur wenige Tonnen. Im Vergleich zum Weltspitzenreiter Elfenbeinküste mit einer Jahresernte von mehr als 1.500.000 Tonnen ist das sehr wenig. Das naturschutzorientierte und kompromisslos nachhaltige Unternehmen Original Beans, das sich schwerpunktmäßig mit der Suche und Erhaltung seltener Kakaosorten beschäftigt, fertigt seit Kurzem aus diesen aromatisch einzigartigen kolumbianischen Kakaobohnen eine hervorragende Dunkelschokolade mit 82 Prozent Kakaoanteil: Arhuaco Businchari 82%. Das Raritäten-Produkt, welches komplett ohne zusätzlich hinzugefügte Kakaobutter auskommt und nur aus Kakaomasse und Rohrzucker besteht, bringt vor allem ausgeprägte Noten von Zitronengras, Lakritze und Sesam hervor. Mit ihren vegetabil-grasigen Aromen gehört die Arhuaco-Schokolade aus meiner Sicht aktuell zu den besten hochprozentigen Schokoladen über 80%. Nicht ohne Grund ist sie derzeit in meinem Top10-Favoritenranking. Kaufen kann man die Schokolade am einfachsten direkt im Onlineshop von Original Beans. Die Herstellung dieser besonderen Schokolade übernimmt wie auch bei allen anderen Original Beans Produkten die weltberühmte Schweizer Schokoladenmanufaktur Felchlin, die auf die Verarbeitung von Schokoladen aus aromatischen Grand Cru Kakaosorten spezialisiert ist.
Alternative Kakao-Klassifizierung: Anhand der Farbe der Kakaoschoten
Die Kakaosorten können ganz klar anhand der Form, Größe und Farbe der Kakaoschoten sowie des Geschmacks der Kakaobohnen unterschieden werden. Um es auch für den Laien zumindest ein bisschen verständlicher zu machen, zieht es Mark Christian, ein international anerkannter Schokoladenexperte, vor, alternativ die große Sortenanzahl vielmehr anhand der unterschiedlichen, markanten Farbausprägungen der Kakaoschoten zu klassifizieren. Mittels dieser Primärfarben der Kakaofrüchte lassen sich ihm zufolge Untergliederungen in folgende neun Sorten machen: Criollo, Amazon, Amelonado, Trinitario, Porcelana, Nacional (Arriba), Fortunato #4, Beniano und Hispaniola. Sie machen die Hauptgruppe der sogenannten Urtypen aufgrund ihrer genetischen Reinheit aus.
Wiederkultivierte Edelkakaosorten
Und dann gibt es noch eine separate Gruppe von aktuell sechs im modernen Sinne wiederkultivierten Edelkakaosorten an mehreren Orten im Bereich der nördlichen Küstenregion Venezuelas sowie in Südkolumbien (betrifft nur einen Kakaoort). Sie sind dem Criollo zuzurechnen und gehören heutzutage wegen ihrer Aromentiefe zu den begehrtesten Quellen unter den Chocolatiers. Deren Unterscheidbarkeit (z. B. in Bezug auf Geschmack der Kakaobohnen und der Schotenformen) untereinander ist jedoch vielmehr ortsabhängig bedingt (die Orte sind dementsprechend auch Namensgeber für die Kakaosorten) als genetisch. Denn in diesen hauptsächlich venezolanischen Kakaogebieten sind nicht nur reine Criollos, sondern eine breite Mischung vieler unterschiedlicher Sorten, vorzufinden. Diese Ortschaften sind Ocumare, Chuao, Cuyagua, Sur del Lago, Carenero sowie Colombia Nacional. Zudem existieren viele weitere wiederkultivierte Edelkakaos mit einem breiten Aromenspektrum an unterschiedlichen Orten Süd- und Zentralamerikas, die eine immer bedeutendere Rolle in der Herstellung von Gourmetschokoladen erlangen. Inoffiziell gesehen gibt es in Wahrheit ohne Zweifel noch Hunderte unentdeckte, nicht klassifizierte Kakaosorten. Schon alleine innerhalb eines kleinen Anbaugebiets in einer einzigen Region findet man oft zahlreiche Varietäten zusammen.
In Massenmedien oft nur Rede von Konsum- und Edelkakao
In der Öffentlichkeit ist einfachheitshalber meistens von Konsum- und Edelkakao die Rede. Der Konsumkakao Amelonado, der eher unter der gängigeren Bezeichnung Forastero bekannt ist, (unabhängig von damit assoziierten Sorten-Spezifizierungen) gehört zu den ertragreichsten Kakaosorten - macht über 90 Prozent der Weltproduktion aus. Im Vergleich zum Edelkakao schmeckt Forastero bitterer und kräftiger mit weniger Nebenaromen. Hauptanbaugebiet dieses Kakaos sind die westafrikanischen Länder. Alleine in der Elfenbeinküste werden mehr als ein Drittel der globalen Kakaoernte angebaut. Häufig ist die schlechtere Kakaoqualität in Westafrika weniger genetisch bedingt, sondern vielmehr auf nicht ausreichend gründliche Nachernteverfahren der Kakaobauern zurückzuführen. Schon mit einer guten Fermentationstechnik lassen sich auch aus einem aromatisch eher einfachen Kakao mehr positive Aromen herausholen. Ein guter Chocolatier kann daraus sehr wohl eine sehr gute Schokolade herstellen. Gut schmeckende Premiumschokoladen mit westafrikanischen Kakaobohnen gibt es nämlich auch, aber nicht so viele. Gleichzeitig verdrängt besonders CCN-51 , ein neugezüchteter und jetzt in großem Ausmaß angebauter und wenig aromatischer Konsumkakao in Ecuador, Peru, Brasilien und in vielen weiteren Ländern Lateinamerikas, der ähnlich wie der westafrikanische Forastero sehr ertragreich ist, die heimischen Kakaosorten, wie zum Beispiel den ecuadorianischen Urkakao Nacional. Immer mehr solcher nicht heimischer Hybride werden in vielen Kakaoregionen Südamerikas eingesetzt und machen mittlerweile 75 Prozent der gesamten Jahresernten aus. In Kolumbien ist beispielsweise TSH595 auf dem Vormarsch.
Edelkakao wird immer beliebter
Edelkakao gibt es mit nur wenigen Ausnahmen in Süd- und Mittelamerika und auf der afrikanischen Insel Madakaskar. An immer mehr Orten, wo klimatische Bedingungen gegeben sind, werden aromatischere Kakaosorten mit nachhaltigen Methoden wiederkultiviert (allerdings in begrenzten Mengen). Solche Kakaoregionen, die noch vor wenigen Jahren keine große Rolle beim Anbau von Edelkakao gespielt haben, sind zum Beispiel Vietnam, Honduras, Nicaragua, Kongo, Tanzania, Hawaii oder Nordost-Australien und viele andere. Die Internationale Kakao Organisation kürte beispielsweise das aktuell besonders unter Feinschmeckern beliebte Kakaoland Nicaragua im Jahr 2015 zu einem hundertprozentigen Edelkakao-Anbaugebiet (Fine Flavour Cocoa). Nur insgesamt neun Länder weltweit produzieren derzeit ausschließlich Edelkakao. Der Anteil an der Weltkakaoproduktion bei den hochwertigen Sorten beträgt aktuell etwa 8 Prozent - noch vor wenigen Jahren waren es konstant unter fünf Prozent. Wohl immer mehr Menschen finden Gefallen am großen Aromenreichtum qualitativer und naturnaher Kakaosorten.