Cupuaçu - die mystische Regenwald-Schwester des Kakaos

Die klassische Dunkelschokolade, die aus Kakaobohnen gemacht wird, könnte schon bald Konkurrenz von einer anderen kakao-ähnlichen Frucht bekommen, deren geschmackliches Potenzial in der westlichen Welt bisher zu Unrecht weit unterschätzt wurde. Denn nicht nur aus Kakao kann gute und aromatische Schokolade hergestellt werden. In den tropischen Regenwäldern Amazoniens, vor allem im Norden Brasiliens, wächst nämlich die wenig in Europa bekannte Cupuaçu-Frucht, die mit dem Kakao eng verwandt ist. Der sogenannte "Großblütige Kakao" (Theobroma Grandiflorum) gehört ebenso zur Pflanzenfamilie der Malvengewächse und zur gleichen Gattung der Theobroma. Die Früchte der Cupuaçu ähneln einer länglichen, braunfarbenen Melone und deren Samen haben einen höheren Fettgehalt als Kakaobohnen. Die daraus hergestellte Schokoladenalternative schmeckt mit ihren tropisch-fruchtigen, yoghurtigen und nach Bitterorangen erinnernden Aromen sowie ihren buttrig-rahmigen Eigenschaften ganz anders als eine klassische Dunkelschokolade. Auch die Textur ist wegen des höheren Fettanteils deutlich weicher. Das typische Bruchgeräusch, das man von in Zimmertemperatur gelagerter Schokolade beim Brechen kennt, gibt es nicht. Die Cupuaçu-Schokolade lässt sich geräuschlos zerstückeln und fast wie Gummi verbiegen. Die exotische Pseudo-Schokolade erinnert an eine bereits angeschmolzene Standard-Milchschokolade, die höheren Temperaturen von über 28 Grad ausgesetzt war. Vor allem in den Regionen des Amazonas ist das säuerlich-süße Fruchtfleisch des Großblütigen Kakaos sehr beliebt. In Brasilien gilt die Frucht als kulinarische Traditionszutat. Man verwendet es hauptsächlich für Marmeladen, Erfrischungsgetränke und viele unterschiedliche Süßspeisen. Und indigene Schamanen nutzen die Samen der Frucht sogar für heilende Zwecke.

Cupuaçu - ein nährstoffreiches und schmackhaftes Wunder-Lebensmittel?

 

Genau wie die Kakaopflanze ist auch ihre Schwester, die Cupuaçu, ein typisches Schattengewächs, das sich in einem intakten Biotop inmitten anderer Pflanzen am besten wohlfühlt. Die Bäume werden bis zu 15 Meter hoch. Auch für diese Amazonasfrucht ist Agroforst-Anbau in Mischkulturen die umweltverträglichste und zugleich gesündeste Kultivierungsmethode. Der Großblütige Kakao ist besonders nährstoffreich und enthält zahlreiche Vitamine und Mineralstoffe. Die daraus extrahierte Cupuaçu-Butter soll wegen ihres hohen Anteils an Phytosterolen (das sind in bestimmten fettreichen Pflanzen vorkommende chemische Verbindungen) und Vitamin E auch viele gesundheitliche Vorteile für Haut und Haare bieten. Diversen wissenschaftlichen Studien zufolge haben kosmetisch eingesetzte Phytosterole entzündungshemmende, feuchtigkeitsspendende und antibakterielle Eigenschaften. Darüber hinaus wirkt das Vitamin E antioxidativ. Trockene Haut, die durch Alterserscheinungen oder Umweltbelastungen entstanden ist, kann demnach mithilfe von Cupuaçu-Fett wieder elastischer und widerstandskräftiger werden. Dieses Tropen-Fett findet daher besonders in Kosmetik- und Hautpflegeprodukten Verwendung. 

Und was die Polyphenol-Zusammensetzung der Theobroma Grandiflorum anbelangt, auch die kakaoverwandte Frucht enthält zahlreiche unterschiedliche Pflanzenstoffe wie Tannine, Theogradin I und II, Katechine, Quercetine oder das Flavonoid Kaempferol, die allesamt gesundheitliche Vorteile mit sich bringen können. Im Vergleich zum Kakao enthält Cupuaçu aber kein Theobromin, Koffein und Theophyllin, sondern stattdessen den ähnlich wirkenden Stoff Theacrin. Wie Theobromin wirkt Theacrin stimulierend auf Körper und Geist, also milder und langanhaltender mit ausbleibenden Gewöhnungserscheinungen wie dies z. B. beim Kaffeekonsum der Fall ist.

Theobroma Grandiflorum - gleiche Herstellungsweise wie bei klassischer Schokolade aus Kakao

 

Der Verarbeitungprozess von der Ernte bis zur fertigen Schokoladentafel beruht auf einem identischen bzw. sehr ähnlichen Herstellungsprinzip wie im Falle von Kakao. Von Hand geerntet werden die melonenartigen Schoten geöffnet und die darin enthaltenen Samen mitsamt ihrem Fruchtfleisch herausgenommen. Anschließend müssen die Cupuaçu-Samen ebenfalls fermentiert und getrocknet werden. Da sie etwas größer und saftiger als Kakaobohnen sind, dauert die Fermentierung, wie ich erfahren habe, ein wenig länger als beim Kakao. Nach der Trocknung erfolgt dann die eigentliche Herstellung der Schokoladen-Alternative in der Fabrik, wo die Samen geröstet und zusammen mit Zucker und Cupuacu-Butter zu einer geschmeidigen Masse feingemahlen und in Tafeln gegossen werden.

 

Amma - Brasilianischer Tree-to-Bar Produzent als Cupuaçu-Schokoladen-Pionier

 

Bislang gibt es nicht viele Schokoladenhersteller, die Schokolade aus den Samen der Cupuaçu-Frucht produzieren. Die wenigen Produzenten, die sich darin spezialisieren, befinden sich verständlicherweise im traditionsverbundenen Brasilien, der Urheimat der Cupuaçu-Pflanze. Zu den Pionieren und bekanntesten brasilianischen Firmen gehört sicherlich das 2007 von Diego Badaro und Frederick Schilling gegründete Unternehmen "Amma Chocolate".  Nach den Prinzipien des Tree-to-bar erfolgt Kakaoanbau und Schokoladenherstellung in unmittelbarer Nähe im gleichen Land. Die Herstellung von echter Gourmet-Schokolade aus heimischen Edelkakaosorten gehört zwar zum Schwerpunkt des Unternehmens, nichtsdestotrotz scheint die Firma am bekanntesten für ihr neuartiges und originelles Cupuaçu-Erzeugnis zu sein. Selbst der Brasilianer Diego Badaró ist bereits in fünfter Generation Kakaobauer und gleichzeitig der erste in seiner Familie, der seine eigenen ökologischen Kakaobohnen, aber auch die von vielen kooperierenden Partner-Bauern in einer eigenen Fabrik zu hochwertiger Feinschmecker-Schokolade verarbeitet. Der Kakao sowie der Cupuaçu stammen aus dem Süden des Bundesstaates Bahia (Itabuna, Ilheus und Itacaré). Beide Theobroma-Pflanzensorten werden dort im Atlantischen Regenwald (auch bekannt unter der Bezeichnung "Mata Atlantica") nachhaltig mit agroforstwirtschaftlichen Methoden kultiviert. Genauer gesagt handelt es sich um eine Anbaumethode, die vor Ort unter der Bezeichnung "Cabruca" bekannt ist, was wortwörtlich "Löcher öffnen" bedeutet. Die Kakao- bzw. die Cupuaçu-Bäume werden kleinflächig inmitten anderer Baumarten gepflanzt und sind so von allen Seiten vom natürlichen Wald umgeben. Auf diese Weise wird zum einen die hohe lokale Biodiversität in der Mata Atlantica geschützt, zum anderen werden faire Beziehungen mit den Kakaobauern, die eng mit Diego Badaro zusammenarbeiten, geschaffen. Als Wissenschaftler vom New Yorker Botanischen Garten vor wenigen Jahren eine Studie bei den brasilianischen Kakaobauern im Atlantischen Regenwald durchführten, stellten sie fest, dass durch diese verantwortungsvolle Bepflanzungsmethode über 476 unterschiedliche Pflanzenarten bewahrt werden konnten. Auch die Organisation Slow Food erkannte das enorme biologische Potenzial dieser artenreichen Region. Als Vermittler zwischen Produzenten und Konsumenten setzt sich Slow Food für die Förderung und den Schutz dieses Bioms und den in diesem Naturraum kultivierten Lebensmittel ein.

 

Theobroma Grandiflorum 80% von Amma im Geschmackstest

 

Die 80 prozentige Cupuaçu-Schokolade, die inzwischen auch in Deutschland erhältlich ist, überzeugte mit ihrem Geschmack auch die Jury auf den letzten Chocolate Academy Awards im Jahr 2017. In der Kategorie der veredelten Schokoladen erhielt das Produkt eine Bronze-Medaille. Die Schokolade, die in Wahrheit keine echte Schokolade ist, besteht aus Cupuaçu-Masse, Rohrzucker und Cupuaçu-Butter. Auch mir persönlich gefiel diese außergewöhnliche nachhaltige Delikatesse. Sowohl geschmacklich als auch von der Konsistenz her ist sie in keinster Weise mit normaler Schokolade zu vergleichen. Sie verfügt über ein erstaunlich komplexes und fruchtiges Aromenprofil mit intensiven Bitternoten, das möglicherweise für manch einen gewöhnungsbedürftig sein kann. Die bitteren Grapefruit- und Chinotto-Noten sind ohne Zweifel auf das Kaempferol zurückzuführen, ein Flavonoid, das in der Cupuaçu-Pflanze enthalten ist. Mit ihrer hellbraunen Farbe ist sie deutlich heller und daher optisch vielmehr mit einer Milchschokolade gleichzusetzen. Eine 80-Gramm Tafel kostet etwa 7,20 Euro. Für diesen Preis bekommt man eine garantiert faire Geschmacksexplosion, die man so schnell nicht vergisst!

 

 

Amma Cupuaçu 80%

 

MHD 17/09/2019, Charge A17261J

Kakaoherkunft: Brasilien, Süd-Bahia, Mata Atlantica

Kakaovarietät: kein Kakao, sondern eine verwandte Pflanzensorte – Theobroma Grandiflorum (Cupuaçu)

 

A) Duftaromen: Karamell, Toffee mit fruchtiger Alkoholnote, dezente Yoghurtanklänge, Waldfrüchte 15/18

B) Geschmacksaromen: Karamell, Nuss, Butter, Rahm, Mandeln, tropische Früchte, Waldfrüchte, leichte Joghurtanklänge, Bitternoten wie von Bitterorangen (Chinotto), Grapefruit, bitter-fruchtiger Abgang (vergleichbar mit Chinotto) 44/48

C) sehr gut 3/3

D) feinschmelzend 3/3

E) Cupuaçu, Rohrzucker, Cupuaçubutter: sehr gut 18/18

F) sehr gut: tree-to-bar; nachhaltige und sozioökonomische Wertschöpfung durch enge Zusammenarbeit mit Kakaobauern und Produktion im Anbauland Brasilien 4/4

G) Gesamteindruck 6/6

 

Gesamtpunkte: 93/100

 

Fazit: Diese 80-prozentige Schokolade aus Cupuaçu-Samen, die in Wirklichkeit keine echte Schokolade ist, überzeugt mit ihrem vielschichtigen Aromenprofil. Sie duftet vor allem nach Karamell, Waldfrüchten und Yoghurt. Geschmacklich punktet sie mit ihren langandauernden und ständig wechselnden Aromen: zu Beginn ist sie karamellig-nussig sowie buttrig-rahmig, um anschließend intensive Fruchtnoten von exotischen Waldfrüchten, Chinotto (Bitterorangen) und Grapefruit mitsamt Mandel- und Yoghurt-Anklängen aufzuweisen. Die dominanten Bitternoten sind keineswegs zu vergleichen mit dem oft negativ assoziierten, typischen bitteren Geschmack einer qualitativ minderwertigen Schokolade. Vielmehr handelt es sich um eine komplett andere Form von Bitterkeit, die eine geschmackliche Symbiose mit der parallelen Fruchtigkeit darstellt. Wer in Italien Urlaub gemacht habt, ist vielleicht in den Genuss des typischen Chinotto-Erfrischungsgetränks gekommen, das Kultstatus in Italien hat und sehr gut als Cola-Alternative verwendet werden kann. Jede-/r, der dieses fruchtig-bittere Getränk liebt, wird sich, so schätze ich, in diese besondere Schokolade verlieben. Auch die außergewöhnlich weiche und butterartige Textur ist sehr interessant. Aus meiner Sicht zweifellos ein Must-Try für jeden Schokoladen-Aficionado!

 

Bemerkung: Als unparteiischer Schokoladenblogger vertrete ich keine einzelnen Hersteller oder Vertriebe und richte mich nur nach gutem Geschmack und den Werten der Schokoladenhersteller.

Wenn ich Interesse mit meinen Schokoladenempfehlungen geweckt habe, so möchte ich lediglich als Hilfestellung aufzeigen, wo und wie man derartige Schokoladen kaufen kann. Aktuell ist mir nur ein Händler in Deutschland bekannt, der die Cupuacu-Schokolade von Amma verkauft - das von Cornelia Dressler geführte Schokoladengeschäft "Feine Schokolade" in Leipzig.