Existiert überhaupt echter Criollo Edelkakao?
Viele Unternehmen behaupten, dass sie echten Criollo-Kakao anbieten, z. B. in Produkten a la zeremonieller Kakao, in Trinkschokoladen oder in Schokoladentafeln. Leider ist es in den meisten Fällen nur reines Marketing und nicht mehr. Die wenigsten Firmen können beweisen, dass es sich tatsächlich um diesen seltenen, kaum sortenrein existierenden Edelkakao handelt. Was ist denn nun wirklich Criollo-Kakao? Gibt es ihn überhaupt? Hier findet ihr den Versuch von mir, Aufklärung zu diesem komplexen und umstrittenen Thema zu schaffen.
"Das Criollo-Missverständnis" bzw. gibt es überhaupt "echten" Criollo-Kakao?
Was ist Criollo-Kakao und warum wird eigentlich so viel Wirbel drumherum gemacht? Ich habe mir vorgenommen, diese Problematik näher zu beleuchten, um Klarheit und Transparenz in dieser kontroversen Angelegenheit herzustellen.
Das Thema "Criollo" ist deutlich komplexer als man vermuten würde, teils Volksverdummung, teils Marketing, teils einfach zu wenig Wissen über Kakao-Genetik. Daher wird die Bezeichnung fast immer falsch benutzt wie Jan Schubert, einer der weltweit anerkanntesten Kakao-Experten, immer wieder in der Öffentlichkeit aufzuklären versucht. In den meisten lateinamerikanischen Ländern wird nämlich mit Criollo etwas Einheimisches bezeichnet. Damit sind auch die älteren Kakaosorten gemeint, die vor den neuen Hybridsorten existiert haben. Welches Alter die älteren Kakaos tatsächlich haben, ist oft ungewiss und genetisch sind sie laut Jan Schubert zu 99 Prozent sowieso keine Criollos.
In diesem Zusammenhang wird trotzdem nach wie vor zu Unrecht von diversen Schokoladen- und Kakao-Unternehmen oder Möchtegern-Experten behauptet, dass Criollo die in jeder Hinsicht beste und geschmackvollste Kakaosorte sei. Da es in Wahrheit keine waschechten Criollos gibt, wie sollen sie dann die besten sein? Darüber hinaus werden weltweit unzählige Produkte wie zeremonieller Kakao oder Trinkschokoladen (z. B. nach mexikanischer Art wie bei den Mayas) angeblich mit dieser seltenen, nahezu ausgestorbenen Kakao-Varietät angeboten. Wie kann das sein? Wenn überhaupt genetisch sortenreine Criollo-Kakaos existieren sollten, dann höchstens in der freien Wildbahn im tiefen Regenwald-Dschungel in wenigen Regionen Mittel- und Südamerikas. Da es sich dabei meist um zivilisatorisch entlegene Kakaobäume handelt, die nicht vom Menschen kultiviert werden, gibt es verständlicherweise daraus keine Schokoladen - leider.
Wenn man den Markt beliebig durchforstet, stoßt man bei den verschiedensten Chocolatiers, Patissiers oder Händlern, die diverse Kakao- und Schokoladenprodukte in unterschiedlichen Ausführungen anbieten, immer wieder auf die Bezeichnung "Criollo". Gleichzeitig fehlen oft inhaltlich relevante Informationen in den Produktbeschreibungen bzw. sie sind zu ungenau oder nicht transparent genug, sodass es weder als Kunde noch als Kenner nicht möglich ist festzustellen, wieviel Criollo-Kakao sich dahinter verbirgt oder eben nicht. In den meisten Fällen ist es sowieso nur reine Augenwischerei.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Begriff "Criollo" leider viel zu oft zu Marketingzwecken unbegründet benutzt bzw. missbraucht wird. Noch schlimmer ist, dass es sich nicht nur um eine Art strategische Schönfärberei handelt, sondern häufig auch um reine Unwissenheit der Schokoladen- oder Kakaounternehmen. Mit anderen Worten: ohne zu hinterfragen nutzen sie den Begriff "Criollo" nur deshalb, weil der Händler dies (meist ohne stichhaltige Begründung) behauptet hat.
Im Folgenden werde ich versuchen, den Criollo-Mythos zu entkräften und dabei aufklären, was überhaupt ein Criollo ist, was ihn ausmacht und was all das mit dem Kakao-Ursprung im Amazonas, der immens hohen, nach wie vor größtenteils unbekannten Kakaosorten-Vielfalt und historischen Aspekten zu tun hat.
1. Überblick über Kakao-Vielfalt
Kakao wurde lange Zeit auf eine wenig wissenschaftliche Weise in nur drei Sorten unterteilt: Criollo, Forastero und Trinitario. Criollo gilt nach wie vor in Fachkreisen - oft unbegründet - als der geschmacklich feinste und am wenigsten bittere Kakao, wohingegen Forastero den Ruf hat, äußerst kräftig und stark bitter zu schmecken, aber zumindest widerstandsfähig gegen Krankheiten und deutlich produktiver zu sein. Trinitario gilt sozusagen als Kompromiss zwischen den beiden Gegensätzen.
Traditionellerweise ging man sogar nur von zwei Hauptsorten aus, da es sich beim Trinitario um eine im 18. Jahrhundert auf der Karibikinsel Trinidad erfolgte Kreuzung zwischen Criollo und Forastero handelt, die die geschmacklichen Vorteile des Criollo mit der hohen Widerstandsfähigkeit des Forastero vereint hat. Wenn wir mal kurz einen historischen Blick in die Zeit um 1720 werfen, sollen auf Trinidad zu jener Zeit überwiegend Criollo-Kakaos kultiviert worden sein, bis ein Großteil der Bestände durch eine verheerende Pflanzenkrankheit, die auf Englisch "Blast" genannt wird, zerstört wurde. Der Wiederaufbau der Kakaopflanzen erfolgte nach dieser Naturkatastrophe so, indem Forastero-artige Amelonado-Kakaobäume aus dem Osten Venezuelas mit dem als edler geltenden Criollo gekreuzt wurden.
Criollo = einheimisch - Forastero = fremd
Außerdem wird angenommen, dass die verwirrende, wenig wissenschaftlich fundierte Klassifizierung von Kakao auf die frühe Kolonialzeit in Mittelamerika zurückzuführen ist. Es steckt dahinter insbesondere ein kulturell und sprachlich bedingtes Missverständnis. Der Grund: Spanische Kolonisatoren, die zum ersten Mal in Mexiko auf von Azteken-Stämme kultivierte Kakaobäume antrafen, bezeichneten diese als "Criollo". "Criollo" bedeutet auf Spanisch nämlich "einheimisch", während "Forastero" "fremd" bedeutet. Das bedeutete im Umkehrschluss, dass Kakao von irgendwo anders damals als "Forastero" bezeichnet wurde. Es ging daher nicht um botanische Sortenunterschiede, sondern schlichtweg nur um geographische Faktoren. Ein nach diesem Verständnis bezeichneter Kakaobaum war demnach nicht unbedingt der Sorte "Criollo" in biologischer Hinsicht zuzuordnen.
Bahnbrechende Kakao-Studie von Motamayor in 2008: mind. 11 Kakao-Cluster im Amazonas
Die Feststellung, dass es nur drei Kakaosorten gibt, ist spätestens mit der im Jahr 2008 veröffentlichten Studie des Agrarwissenschaftlers und international renommierten Kakaoforschers Juan Carlos Motamayor hinfällig. Hinzu kommt, dass die Verwendung des Begriffs "Sorte" für die alten Ursprungskakaos nicht korrekt ist. Denn Sorten entstehen erst durch menschlichen Einfluss. Die historischen Kakaos aus Lateinamerika sind jedoch sogenannte genetische Cluster, d. h. Gruppen. Nach aktuellem Wissensstand gibt es 11 identifizierte Kakao-Cluster, deren Ursprung im oberen Amazonasbereich liegt. Geographisch gesehen handelt es sich um ein Gebiet, das Teile Perus, Ecuadors, Kolumbiens und Brasiliens umfasst. Diese Varietäten-Kategorisierung beinhaltet folgende Kakao-Gruppen: Criollo, Maranon, Curaray, Iquitos, Nanay, Contamana, Amelonado, Purus, Guiana, Nacional, Nacional Boliviano.
Vielfalt an alten, lokalen Kakao-Landrassen in der Kakao-Geburtsstätte Peru
In Anbetracht dieser botanischen Erkenntnis neigt man derzeit dazu, den Criollo separat zu betrachten und all die restlichen genetisch variablen 10 Kakao-Gruppen in die Oberkategorie "Forastero" einzuordnen. Darüber hinaus entdeckte man in Peru drei weitere alte, lokale Landrassen, die infolge ihrer signifikant abweichenden genetischen Eigenschaften im Vergleich zu den 11 Clustern als weitere Kakao-Gruppen gesondert klassifiziert werden.
Dabei handelt es sich um den "Chuncho"-Urkakao aus der Hochland-Region Cusco, welcher aufgrund seiner im Vergleich zu allen anderen Clustern größten genetischen und aromatischen Vielfalt vermutlich als die Mutter aller Kakaos gilt (wahrscheinlich das weltweit älteste Kakao-Cluster?), der mit geschützter geographischer Namensbezeichnung versehene "Cacao Amazonas Peru" in der Region Amazonas sowie der mit dem ecuadorianischen "Nacional" verwandte "Blanco Piurano" in der Region "Piura".
Kakao-Vielfalt im Amazonas nahezu unbegrenzt
Was die Kakao-Cluster-Vielfalt im Amazonas anbelangt, steckt die Forschung auf diesem Gebiet zweifellos noch in den Kinderschuhen. Es werden fortlaufend weitere Kakao-Gruppen entdeckt, sodass nach aktuellem Stand von mindestens 25 verschiedenen Kakaofamilien unter Forschern die Rede sei. Höchstwahrscheinlich gibt es noch unzählige Hunderte Kakao-Typen, die noch nicht entdeckt und untersucht wurden. Solange es keine neuen, weiterführenden Erkenntnisse gibt, bleibt Motamayors 11-Kakaocluster-Klassifizierung inklusive der drei historischen Landrassen in Peru der aktuelle Goldstandard in der Wissenschaft.
Mein Fazit: Die Behauptung, es gäbe lediglich drei Kakaosorten ist längst überholt und war streng genommen nie korrekt, sondern lange Zeit nur ein Irrglaube, der durch diverse historisch-kulturelle Zufälle bedingt war. In Wirklichkeit scheint es Hinweise zu geben, dass die Vielfalt an Kakaos eher mit dem europäischen Apfelreichtum im 19. Jahrhundert vergleichbar sein könnte. Damals gab es in Europa nahezu 1000 Apfelsorten, was heutzutage längst nicht mehr der Fall ist.
2. Was ist ein Kakao-Cluster?
Irrtümlicherweise ist unter Laien der Einfachheit halber bei den alten Sorten immer von Kakaosorten bzw. Kakao-Varietäten die Rede, was aus wissenschaftlicher Sicht streng genommen "falsch" ist. Unter biologischen Gesichtspunkten handelt es sich nämlich (wie bereits vorher unter Punkt 1 angesprochen wurde) um Kakao-Cluster. Mit anderen Worten: Die bis dato im Amazonas 11 bzw. 14 offiziell identifizierten Kakaos sind vielmehr als Gruppen-Einheiten einzuordnen, die sich untereinander genetisch deutlich unterscheiden, aber auch innerhalb des eigenen Clusters eine mehr oder weniger große Variabilität herrscht. Das bedeutet, dass auch Kakaos, die zum gleichen Cluster gehören, zwar bestimmte Ähnlichkeiten bzw. Gemeinsamkeiten aufweisen, allerdings gleichzeitig auch Unterschiede haben können.
So gibt es also in der gleichen Kakao-Gruppe, die lediglich zum besseren Verständnis als Sorte bezeichnet wird, viele genetische Abweichungen, die auf eine Vielzahl von Unterkategorien schlussfolgern lassen. Daher gibt es quasi viele Sorten innerhalb einer einzelnen Sorte bzw. Clusters. Wie wir anhand der Biologie in den Clustern sehen können, ist die Biodiversität der Kakaopflanze riesengroß - wohl deutlich größer als wir denken.
Ursprung des Criollos wahrscheinlich in Peru - Entstehung des Criollos durch lokale Selektion in Venezuela
Auch der Criollo ist ein solcher Cluster, dessen Entstehungsursprung vermutlich im Norden Ecuadors oder in Peru liegt. Es gibt zwar biologische Spuren von Criollo im Oberen Amazonasbecken, aber die realen Kakaos entstanden erst durch Menschenwanderungen vor Tausenden von Jahren, z. B. durch Handel oder kulturellen Austausch. Von der botanischen Geburtsstätte des Kakaos aus, die in Cusco vermutet wird, hat sich so die tropische Pflanze Richtung Norden über Ecuador, Kolumbien, Venezuela bis nach Mittelamerika weiterverbreitet. Aus diesem Grund findet man in bestimmten Regionen Venezuelas, Kolumbiens sowie Mittelamerikas wie Mexiko, Guatemala, Honduras und Belize nach wie vor mit Criollo verwandte Landrassen. Diese alten Ursprungskakaos werden an diesen Orten seit langem (mindestens seit mehreren Generationen) von Menschen angebaut.
Ein gewisser Anteil an ursprünglichen Criollo-Genen ist in den heute bekannten Criollos wohl noch enthalten, oft aber verhältnismäßig wenig. Die genetische Dichte des Criollos ist in Mittelamerika bis auf Mexiko sogar noch kleiner. Ob ein Kakao, der nur noch wenige Prozent eines echten Criollos besitzt, noch als ein Criollo bezeichnet werden sollte, ist zumindest umstritten. Tatsächlich reinsortige Criollos gibt es nur noch sehr wenige. Die bekanntesten Criollos, die auch noch in heutiger Zeit bis zu 100 Prozent Criollo sein können, sind Porcelana oder Guasare in Venezuela südlich und westlich des Maracaibo-Sees. Eine derart hohe Sortenreinheit ist aber nur dann möglich, wenn die Criollos streng kontrolliert auf Haciendas kultiviert werden.
3. Was ist "echter" Criollo-Kakao? - Mein Criollo-ABC
Einen Criollo-Kakao bzw. einen Kakao, der zumindest zu einem gewissen Grad Criollo-Anteile besitzt, kann man relativ deutlich anhand des Aussehens der Kakaoschoten erkennen. Die Früchte sind oft verhältnismäßig lang, in der Mitte weniger dick als z. B. bei einem in Westafrika häufig vorkommenden Forastero, mit einem spitzen Ende versehen sowie mit prägnanten Warzen und Furchen ausgestattet. Je nachdem in welcher Region der Criollo wächst, variiert auch die Farbe der Schote. So sind beispielsweise die Kakaoschoten beim weltberühmten Porcelana-Kakao in der venezolanischen Region Maracaibo nahezu weiß mit leicht rötlichen Anstrichen, wohingegen beispielsweise beim Guasare, einem weiteren seltenen Criollo-Typ, die Früchte meist eine grüne oder auch gelb-grüne Farbe aufweisen. Natürlich gibt es auch Früchte von Criollo-Kreuzungen in anderen Farben wie gelb, rot oder orange.
Porcelana und Guasare aus Venezuela gehören zu den wenigen reinsortigen Criollos
Die Samen im Inneren der Frucht sind bei einem Criollo im Gegensatz zu den allermeisten Kakao-Clustern aus dem Amazonas heller oder gar gänzlich weiß wie beim Porcelana, der in der Nähe des Maracaibo-Sees heimisch ist. Die helle bzw. weiße Farbe der Kakaobohnen ist auf den geringeren Gehalt an Polyphenolen zurückzuführen. Die daraus folgende deutlich weniger tiefdunkle Farbgebung – bedingt durch die niedrigere Polyphenol-Konzentration - ist gleichzeitig auch der Grund, warum ein Kakao mit Criollo-Elementen meist milder als andere Kakaos schmeckt. Aufgrund dieser botanischen Besonderheit sind Bitterstoffe im Kakao weniger präsent.
Ein Criollo-Kakao besitzt eine vergleichsweise geringe genetische Vielfalt
Eine weitere Besonderheit des Criollos ist seine relativ geringe genetische Variabilität. Das bedeutet einerseits, dass die in Mittelamerika sowie Venezuela und Kolumbien vorkommenden Kakaos infolge eines durchgängig erfolgten Kultivierungsvorgangs mehr Gemeinsamkeiten haben als dies der Fall bei anderen Amazonas-Clustern ist. Andererseits ist die niedrigere Vielseitigkeit an Genen ein unter Forschern eindeutiges Indiz, das nicht wie früher immer angenommen wurde, Mittelamerika der Entstehungsort der Kakaopflanze ist, sondern das Obere Amazonasbecken. Nichtsdestotrotz findet man in Peru, dem Land mit der größten Biodiversität in Sachen Kakao-Vielfalt, keine reinen Criollos. Criollo hat zwar seine Wurzeln im peruanischen Amazonas, er entsteht aber erst durch Selektion weiter nördlich wie im Folgenden weiter unten erläutert wird.
Wie hängt also die geringere genetische Vielfalt des Criollos mit der Region Cusco in Peru als vermeintlicher Geburtsort der Kakaopflanze zusammen?
Das Prinzip des Verlustes der genetischen Streubreite funktioniert folgendermaßen: Je weiter nördlich von Cusco sich eine Kakao-Region entfernt befindet, desto kleiner wird die genetische Vielfalt. Diese Tatsache macht den Kakao aber nicht zwingend schlechter, sondern anders, indem er z. B. milder schmeckt oder quantitativ weniger Aromen, aber umso intensivere Schwerpunkte etc. besitzt. Von Cusco aus beginnend haben Menschen vermutlich vor Tausenden von Jahren an den verschiedensten Orten in Süd- und Zentralamerika durch lokale Selektion Kakao-Landrassen entstehen lassen. Damit sind Kakaos gemeint, die zwar untereinander nicht identisch sind, aber mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufweisen und mindestens seit einigen Generationen in einer bestimmten Region angebaut werden. Es handelt sich also um keine einzelnen Sorten, sondern eine vielfältige Mischung mehr oder weniger ähnlicher Kakaos. Dadurch, dass sich die entsprechenden Kakao-Varietäten seit einer längeren Zeit an demselben Ort befunden haben, haben sie sich an die geographischen Gegebenheiten entsprechend angepasst.
Criollo ist das zivilisatorisch-kulturelle und historische Ergebnis von menschlichem Austausch - Stichwort: lokale Selektion
Was die Verbreitungswege betrifft, ist man sich relativ sicher, dass sich der Kakao von Cusco zuerst im Maranon-Tal weiterverbreitet hat. Anschließend brachte eine alte Kultur den Kakao in Maranon nach Piura auf die andere Seite der Anden. So hat sich der Kakao schließlich mithilfe des Menschen aufgrund von kulturellen Gegebenheiten in Richtung Norden, Osten und Nordosten bis nach Mesoamerika weiterverbreitet. Dass die Kakao-Ausbreitung bereits vor vielen Tausenden Jahren erfolgt haben muss, können wir anhand der stichhaltigen Hinweise schlussfolgern, die uns zeigen, dass anscheinend Criollo-Kakao vor mindestens 4000 Jahren in Mexiko und Guatemala von Maya-Völkern kultiviert wurde. Im Umkehrschluss können wir davon ausgehen, dass die Kakaopflanze dort vor mehr als 4000 Jahren eingeführt wurde. Genaue Jahreszahlen, wann genau all das passiert ist und warum die Menschen insbesondere weißen Criollo-Kakao selektioniert haben, ist bisher nicht bekannt.
Da sich Criollo von allen ursprünglich aus dem Amazonas kommenden Edelkakaos von der botanischen Geburtsstätte in Form mehrerer Landrassen am weitesten entfernt etabliert hat, gehört dieser hellere und generell milder schmeckende Kakao zu den jüngeren Kakaotypen. Dazu gehört z. B. der bereits genannte Porcelana-Kakao in der Region Maracaibo in Venezuela, der neben dem Guasare-Kakao sowie einigen Sorten in Mexiko zu den wenigen wirklich reinsortigen Criollos zählt, und natürlich all die bekannten Pseudo-Criollos in den Ländern, die einst Maya Hochburgen waren – Mexiko, Guatemala, Honduras und Belize usw. Der Großteil der bekannten Edelkakaos, die man in Mittelamerika vorfindet, haben genetisch sogar noch viel weniger mit Criollo zu tun als die Criollos und Criollo-Kreuzungen in Venezuela und Kolumbien. Der Grund: Die berühmten zentralamerikanischen Kakaosorten wie beispielsweise Indio Rojo in Honduras oder Chuno in Nicargua sind genetisch gesehen vor allem Amelonados, deren Ursprung in Bahia in Brasilien liegt.
Was die geringere genetische Vielfalt im Criollo allgemein betrifft, ist diese Tatsache das Ergebnis einer langen Reise mit gewiss vielen Zwischenstationen. Während der weiten Wege haben wahrscheinlich zahlreiche Transport- und Selektionsschritte, die auf Vorlieben oder Glauben von alten Religionen und Kulturen beruht haben, dazu geführt, dass die Kakaos an ihren jeweiligen Ankunftsorten spezifisch selektionierte Genmuster entwickelt haben, die für jede einzelne Region charakteristisch sind.
Schon vor 4000 Jahren soll es bei den Mayas in Mexiko Criollo gegeben haben
Man vermutet, dass bereits vor 4000 Jahren die alten Maya überwiegend Criollo-Kakao in Mittelamerika angebaut haben. Neben archäologischen Befunden und Fundstücken sowie historischen Belegen soll es anscheinend auch wenige neuzeitliche, biologisch existente Hinweise in Form von besonders alten, wild wachsenden Criollo-Bäumen geben – unberührt mitten im Regenwald-Dschungel Mexikos, Guatemalas und Belizes. Dabei handelt es sich um Bäume, die noch nie in Berührung mit anderen Kakaos gekommen sind. Der Kakao-Experte Steve Bargin soll im Rahmen seines Projekts „Conservation Cacao“ mithilfe von ortskundigen Kakaobauern derartige Bäume entdeckt haben. Daraus lässt sich Steve Bargin zufolge schlussfolgern, dass das Genmaterial dieser Bäume mit den der Mayas aus damaliger Zeit ziemlich identisch sein könnte. Außerdem wurden vergleichbare Kakao-Erbstücke in Mexiko in Cenoten, in sogenannten Karsthöhlen mit Grundwasserzugang, gefunden. Bei diesen Höhlen-Bäumen geht man davon aus, dass sie dort gezielt für rituelle Zwecke platziert wurden.
Criollo-Kakao ist sehr selten und überdurchschnittlich empfindlich
Wie wir bereits zu erklären versucht haben existieren heutzutage fast keine reinsortigen Criollo-Kakaos mehr. Aber auch Criollo-ähnliche Hybrid-Kakaos werden wenig bis kaum angebaut. Der Hauptgrund, warum Criollo sich für die meisten Bauern nicht lohnt oder sie anderweitig abschreckt, ist dessen übergroße Empfindlichkeit im Allgemeinen, d. h. eine überdurchschnittliche Anfälligkeit für Krankheiten sowie eine signifikant geringere Produktivität im Vergleich zu anderen Clustern oder modernen Hybrid-Sorten. Mit anderen Worten: je höher der genetische Anteil an Criollo im Kakao, desto empfindlicher wird die Pflanze.
In bestimmten Gegenden Süd- und Mittelamerikas existieren aber noch einige alte, lokale Landrassen sowie modernere Kreuzungen, die einen gewissen Grad an Criollo enthalten und teils seit mehreren Generationen von Menschen kultiviert werden. Allerdings handelt es sich dabei um keine wild wachsenden Kakao-Bäume, welche lange Zeit durch menschlichen Einfluss nicht in Berührung gekommen sind. Nicht nur deshalb sind es verständlicherweise in genetischer Hinsicht ohnehin keine reinsortigen Criollos – höchstens nur noch wenige Varietäten wie z. B. Porcelana oder Guasare haben einen hohen Prozentsatz an Criollo-Genetik.
In der Regel überwiegen Criollo-Kreuzungen, sog. Acriollados
In der Regel haben sich die Kakaos in ihren jeweiligen Anbauregionen durch kulturell bedingte Selektion herausgebildet. Da es sich bis auf die Ausnahmebeispiele in Venezuela und Mexiko zum großen Teil um Kreuzungen handelt, sind es ansonsten faktisch keine Criollos, sondern vielmehr sogenannte „Acriollados“. Ein gewisser Criollo-Anteil, der natürlich von Baum zu Baum schwanken kann, ist vermutlich vorhanden. Wäre das nicht der Fall, würde man als Experte sowohl am Aussehen (z. B. keine warzigen Schoten, keine hellen Kakaobohnen) und am Geschmack (z. B. verhältnismäßig starke Bitterstoffe) nicht zum Criollo passende Abweichungen bemerken.
Die bekanntesten Regionen mit Criollo-Kakao bzw. Criollo-Kreuzungen befinden sich in Venezuela, Kolumbien und Mexiko
Die berühmtesten Regionen mit genetisch hochwertigen Criollos sowie mit Criollo-artigen Kakao-Kreuzungen (d. h. sogenannte „Acriollados“) sind vor allem folgende Anbaugebiete:
Venezuela:
Maracaibo (Sur del Lago): Gebiete im Nordwesten Venezuelas in der Nähe des Maracaibo-Sees – v. a. bekannt für den weißen Porcelana, der zu den wenigen wirklich reinsortigen Criollos zählt. Im Allgemeinen gilt die venezolanische Region um den Maracaibo als die weltbekannteste in Sachen Criollo-Kakao. Nirgendwo anders findet man eine solch hohe Dichte an gedeihenden Edelkakaos mit einem derart hohen Criollo-Anteil. Die Region Maracaibo gehört allerdings nur zu den wenigen Ausnahmen neben bestimmten Regionen in Mexiko in Bezug auf Criollo-Reinheit.
Ocumare de la Costa: an der Nordküste Venezuelas (Provinz Aragua); berühmt für widerstandsfähigere Acriollados wie die Kreuzungen „Ocumare 61“ und „Ocumare 67“, deren gewarzte Kakaoschoten meist eine rote Farbe haben. Charakteristisch für die Edelkakaos aus Ocumare sind deren besonders fruchtbetonten und würzigen Aromen.
Fischerdorf „Chuao“: ein an der Nordküste östlich von Puerto Cabello (Provinz Aragua) gelegenes Dorf, das nur mit dem Boot zu erreichen ist. Bis ins 19. Jahrhundert hinein soll an diesem Ort angeblich ausschließlich reiner Criollo gewachsen haben. Aufgrund von Krankheiten, die die Kakaobäume befielen, wurden auch widerstandsfähigere Sorten nach Forastero- und Trinitario-Art im Laufe der Zeit angepflanzt. Aus diesem Grund gibt es heutzutage in Chuao einen vielfältigen Kakao-Mix. Ein gewisser Criollo-ähnlicher Acriollado-Anteil ist nach wie vor vorhanden. Insbesondere nach der Jahrtausendwende, in den Jahren 2000 bis ca. 2010 herrschte ein regelrechter Hype um den Chuao-Kakao unter Kennern, der anschließend vermehrt vom Porcelana abgelöst wurde. Einen vergleichbar starken Prominentenstatus, den „Chuao“ einst hatte, scheint in heutiger Zeit vor allem der Chuncho-Urkakao in der peruanischen Region Cusco zu haben.
Dorf „Cuyagua“: Auch dieses an der Meeresküste gelegene Dorf befindet sich in der Provinz Aragua, etwa auf halbem Wege zwischen „Chuao“ und „Ocumare de la Costa“. Die dort vorzufindenen Kakaos sind allerdings bewusst mit Trinitario-ähnlichen Sorten gekreuzt, sodass der Anteil an Criollo dementsprechend niedriger ist, gleichzeitig jedoch widerstandsfähiger und produktiver.
Gebiete entlang des Rio Guasare: ursprüngliche Heimat des vermutlich reinsten und aromatisch komplexesten (oft Aromen von tropischen Früchten, Trockenfrüchten, milden Nüssen und Gewürzen) Criollo-Kakaos „Guasare“, der so nach dem Fluss benannt wurde. Heutzutage wird der weltberühmte Guasare auf wenigen Fincas in der Region Rosario de Perija, westlich des Maracaibo-Sees in der Nähe der Grenze zu Kolumbien, kultiviert. Der Kakao-Agronom Humberto Reyes hat diesen seltenen Edelkakao in den 90er Jahren auf einer kleinen Farm in der Nähe der kolumbianischen Grenze wiederentdeckt, wissenschaftlich erforscht und anschließend wiederkultiviert. Im Gegensatz zu den meisten Criollos ist der „Guasare“ sogar erstaunlich produktiv in der Anbauweise. Neben dem venezolanischen Porcelana gehört auch der Guasare auch in seiner modernen Form zu den wenigen weltweit existierenden Criollo-Sorten, die tatsächlich nahezu reinsortig sind und bis zu 100 Prozent Criollo sein können.
Caicara del Orinoco: Dabei handelt es sich um ein mitten im Amazonas-Regenwald gelegenes Gebiet im weitesten Nordosten Venezuelas (in der Nähe von Kolumbien), rund um den Fluss „Orinoco“. Das bedeutendste Anbaugebiet in der Nähe ist „Sabana Cardona“. Die in dieser Region tätigen Kakao-Bauerngemeinschaften werden „Piaroas“ genannt. Die Piaroas sind ein indigener Stamm.
Kolumbien:
Sierra Nevada de Santa Marta: Das im Norden Kolumbiens bergige Regenwald-Gebiet ist die Heimat des weißen Bunsi-Kakaos, der durch indigene Arhuaco-Stämme kultiviert wird. Voraussichtlich existierte der Kakao in dieser Form schon vor 500 Jahren und wurde von den Einheimischen angebaut. Jahrhunderte lang durften die Arhuaco-Indianer zuerst wegen spanischer Eroberer und dann wegen Drogenmafias ihr Stammesgebiet nicht bewohnen. Erst vor etwas mehr als zehn Jahren wurde diese alte indigene Kakaokultur wieder zum Leben erwacht. Damals wurde der als besonders pur geltende Criollo durch Kolonisten beinahe ausgelöscht. Die spanischen Eindringlinge glaubten zu jener Zeit, dass die weiße Farbe der Kakaoschoten eine Krankheit sei. Da einige Bäume in der Wildnis überlebt haben, konnte diese besondere kolumbianische Criollo-Landrasse, die wohl heute auch nur eine Art Acriollado ist, bis heute bewahrt werden.
Mexiko:
Selva Zoque Regenwaldgebiet: In dem im Süden Mexikos von Zoque- und Tzotzil-Indianern bewohntem Regenwald-Gebiet existiert seit langem eine Criollo-Landrasse mit der Bezeichnung „Tabasqueno“, die von den indigenen Ureinwohnern kultiviert wird. Dieser Criollo-Typ ist eine Wildkreuzung eines vermutlich jahrtausendealten Criollo-Kakaos aus der Zeit der Olmeken, Mokayas und Mayas und eines Amelonado-Kakaos, der um 1900 von einer französischen Familie an die Küste von Tabasco gebracht wurde. Details zur Genetik dieses Kakaos, der ebenso als Acriollado-Kakao eingestuft wird, sind noch unbekannt.
Aufzählung der bekanntesten Criollos sowie Criollo-ähnlichen Kakaos in Venezuela: Porcelana, Guasare, Canoabo, Chuao, Cuyagua, Maracaibo, Ocumare (Ocumare 61 und Ocumare 67), Rio Caribe, Carenero.
In Kolumbien: Bunsi in Sierra Nevada de Santa Marta im Norden Kolumbiens
In Mexiko: Tabasqueno (eher Acriollado-Typus)
Bedeutende Criollo-artige Amelonado-Hybride (mit höchstens minimalen Criollo-Anteil) aus Mittelamerika: Indio Rojo (Mayan Red: in Honduras, Nicaragua), Chuno (Nicaragua), Nicaliso (Nicaragua), Rugoso (Nicaragua), Johe (Nicaragua)
Ansonsten gibt es noch sicherlich unzählige weitere Kakaos, bestimmt auch alte Landrassen, die mit Criollo-Genmaterial versehen sind, vor allem in Venezuela, Kolumbien und in Zentralamerika, die entweder noch nicht entdeckt und klassifiziert wurden oder in der Wildnis unbemerkt daher wachsen.
Missverständnisse bzw. Verwechslungen rund um Criollo-Kakao und was auf keinen Fall ein „Criollo“ ist …
Wie von mir soeben dargelegt wurde, gibt es in der realen Welt höchstwahrscheinlich überhaupt keine 100 Prozent reinsortigen Criollos. Und die Kakaos, die vom Menschen kultiviert werden und als pure Criollos gelten, sind ohnehin vermutlich nur Acriollados (d. h. Criollo-Kreuzungen). Besonders pure Criollos, die vielleicht genetisch verdammt nah an den antiken Criollo-Originalen der alten Mayas sind, findet man sehr selten höchstens nur in wild wachsender Form, weit weg von der Zivilisation. Die authentischsten "Criollos", die allerdings trotzdem genetisch stark vermischt sind, gibt es vor allem in Venezuela, Kolumbien und Mexiko.
Ein weißer Kakao ist nicht automatisch ein Criollo
Abgesehen davon, dass es kaum wirklich echte Criollos gibt, passiert immer wieder folgendes Missverständnis, wenn man einen als Criollo angesehenen Acriollado, d. h. einen Criollo-Mischling, nur anhand des Vorhandenseins von weißen Bohnen automatisch als einen solchen Kakao einstuft: Ein Kakao, der Criollo-Gene enthält, kann zwar in frischer Form im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Nicht-Criollo-Typus hellere oder gar perlenweiße Kakaobohnen enthalten. Dieses Merkmal bedeutet jedoch noch lange nicht, dass Criollo-Genetik tatsächlich mit im Spiel ist. Zusätzlich müssen parallel noch weitere Eigenschaften und Faktoren mitberücksichtigt werden, um sich dessen sicher sein. Wenn beispielsweise die Kakaoschote, von der die weißen Samen stammen, keine eher Criollo-typische, längliche Form mit Warzen und Furchen hat und die Bohnen eine verhältnismäßig starke Bitterkeit und Adstringenz aufweisen (sowohl messbar als auch schmeckbar), dann kann definitiv nicht einmal die Rede von einem Acriollado sein, geschweige denn von einem „Criollo“.
Beispiel: Albino-Kakaos, die höchstwahscheinlich Amelonados aus Brasilien sind
In einem solchen Fall handelt es sich meist um Albino-artige Amelonado-Varietäten, die ursprünglich vermutlich aus den Amazonas-Regenwäldern Brasiliens stammen und sich im Laufe der Zeit im Rahmen von zivilisatorisch-kulturell bedingtem Austausch in andere Regionen Lateinamerikas ausgebreitet haben. Ein prominentes Bespiel für einen Kakao mit weißen Bohnen, der aber überhaupt nichts mit Criollo am Hut hat, sondern vielmehr Parallelen zu einem Amelonado besitzt, ist der „Catongo“-Kakao. Die Früchte beim „Catongo“ haben im Gegensatz zu einem „Criollo“ eine nahezu glatte Oberfläche. Auch geschmacklich gibt es sowohl bei dessen signifikant ausgeprägterer Bitterkeit als auch bei den oft vorkommenden blumig-kräuterigen und zitronigen Aromen kaum bis keine Gemeinsamkeiten mit den organoleptischen Charakteristika von Criollos.
Beispiel: lokale Landrasse "Piura Blanco" aus Nord-Peru mit Porcelana oder Criollo verwechselt
Darüber hinaus gibt es auch alte, lokale Kakao-Landrassen, deren Bohnen einen hohen Weißanteil besitzen, aber kein Criollo sind oder höchstens nur minimal genetisch etwas mit Criollo zu tun haben. Ein prominentes Beispiel ist der „Piura blanco“, der im Pura-Tal im Norden Perus wächst. Da es dort viele weiße Kakaos von Natur aus gibt, dachte man früher, dass es Criollos oder gar ein Porcelana sind. Mittlerweile weiß man jedoch, dass der nordperuanische Edelkakao vielmehr Gemeinsamkeiten mit ecuadorianischem Nacional-Kakao hat, gleichzeitig jedoch eine dermaßen stark abweichende Genetik im Vergleich zum Nacional aufweist. Denn neuesten Untersuchungen zufolge stammt der von Menschen domestizierte Piura blanco Kakao ursprünglich von Wildkakaos aus benachbarten Gegenden in Nordperu (die Flusstäler Santiago und Morona).
Weitverbreiteter hartnäckiger Irrglaube: einheimischer oder geschmacklich qualitativer Kakao ist immer Criollo
Darüber hinaus besteht leider oft die Tatsache, dass viele Unternehmen den Begriff "Criollo" in ihren Produkten mit Edelkakao aus Peru oder Mittelamerika (v. a. Guatemala, Mexiko, Nicaragua) wie z. B. Ceremonial Kakao oder Trinkschokoladen nach mexikanischer Maya-Art etc. nur deshalb verwenden, weil sie der unbegründeten Ansicht sind, dass einheimische Kakaobäume, die z. B. seit Generationen in einer bestimmten Region wachsen - ob bewusst oder unbewusst sei mal dahingestellt – von vornherein Criollos sind. Um faktenbasiert und transparent in diesem Zusammenhang zu sein, ist es in Wahrheit etwas ganz Anderes ist - in der Regel wohl ein willkürlich durchmischter, in der Natur vorkommender Kakao-Mix. Somit sind 99 Prozent aller lateinamerikanischen Kakaos, die für pure Trinkschokoladen in Verwendung kommen, alles Mögliche außer Criollo. Die einzigen Orte, an denen es relativ reinsortige Criollos gibt, sind überwiegend ausgesuchte Gebiete in Venezuela, Kolumbien und Mexiko.
Verwendung des Begriffs "Criollo" - ein kommunikatives Missverständnis zwischen den Bauern und europäischen/amerikanischen Händlern
Die Verwendung des Begriffs „Criollo“ ist vor allem ein kommunikatives und kulturelles Missverständnis zwischen den Bauern, Händlern und Schokoladenherstellern, das vermeidbar wäre. So sprechen oft in Peru die Kooperativen und Bauern zwar von Criollo, meinen dabei aber nicht das, was wir uns als Europäer darunter vorstellen – nämlich weiße Kakaos wie der Porcelana in Venezuela. Die Farmer meinen mit „Criollo“ lediglich, dass ihr Kakao heimisch oder natürlich ist – nicht mehr und nicht weniger. Zum Beispiel heißen bei Ihnen auch Eier aus Freiland- oder Bio-Haltung auch "Criollo".
Alles in allem lässt sich zusammenfassen, dass es fast überall keine Criollo-Kakaos gibt und dass leider immer noch zu Unrecht die Behauptung verbreitet wird, ein aromatisch schmeckender Qualitätskakao sei automatisch ein Criollo. Diese falsche Ansicht hält sich derart hartnäckig auch wegen des seit Jahrzehnten vermittelten Bildes, dass es nur drei Hauptsorten von Kakao gäbe. Dass es so nicht ist, habe ich in diesem Artikel hoffentlich ausreichend verständlich erklären können.
Lässt sich neben dem Aussehen und Geschmack genauer bestimmen, ob ein Kakao ein Criollo ist bzw. zumindest einen bestimmten prozentualen Criollo-Anteil besitzt?
Tatsächlich gibt es die Möglichkeit Gen-Tests bei Kakao-Analysen durchzuführen. Derartige Untersuchungen sind jedoch sehr aufwendig und teuer. Deshalb werden sie bei kommerziellem Kakao nicht eingesetzt, sondern lediglich zu wissenschaftlichen Zwecken und auch nur dann, wenn große Datenbanken zur Verfügung stehen. Nur unter solchen Bedingungen lassen sich statistisch relevante Aussagen treffen.
Genetische Tests werden aktuell nur von Blättern gemacht. Das bedeutet, dass hierzu nicht einmal frische Kakaobohnen verwendet werden. Und mit getrockneten Bohnen oder gar Schokolade ist eine genetische Analyse laut dem Kakao-Experten Jan Schubert sowieso nicht möglich. Außerdem gibt es seines Wissens nach keine eindeutigen Nachweisverfahren, mit denen man feststellen könnte, was für ein Kakao in einer Schokolade oder in einem Ceremonial Kakao verwendet wurde.
Nachweis von Criollo-Kakao in Schokolade ist nicht möglich
In fertigen Schokoladenprodukten lässt sich die Genetik zwar nicht mehr nachweisen, aber es ist zumindest möglich, die Aromen in den Schokoladen oder Trinkschokoladen zu analysieren. Die Resultate können dann darüber Aufschluss geben, wie hoch die Geschmacksqualität des Produktes im Allgemeinen ist. Mit anderen Worten: Je mehr Aromaten nachgewiesen werden können und in je höherer Konzentration diese enthalten sind, umso besser. Mit dieser Methode kann z. B. nachvollzogen werden, ob beispielsweise ein hochwertiger Edelkakao aus nachhaltigem Anbau oder eher eine kommerzieller Industriekakao aus Westafrika benutzt wurde. Eine Feststellung es Ursprungsortes des Kakaos ist damit natürlich nicht möglich. Es geht vor allem um eine generelle, qualitätsbezogenen Aromen-Einschätzung.
Neue Methode: Feststellung von Fingerabdruck in Kakaobohnen
Zudem gab es vor kurzem erste Versuche, an denen auch Jan Schubert beteiligt war, eine Art Fingerabdruck (Fingerprint) von Kakaobohnen mittels NMR-Technologie zu erstellen. Das Problem ist dabei die große Beeinflussung von Fermentation, Trocknung und Lagerung auf die chemische Zusammensetzung und somit den Fingerabdruck des Kakaos. Trotz dieser limitierenden Faktoren konnten wissenschaftlich nennenswerte Ergebnisse erzielt werden, welche in einem renommierten wissenschaftlichen Artikel veröffentlicht wurden.
Außerhalb Venezuelas und Mexikos zu mind. 99 Prozent keine Criollo-Kakaos
Alles in allem ist es nahezu unmöglich, in einem verarbeiteten Schokoladenprodukt wie z. B. bei den mit angeblich Criollo geworbenen Trinkschokoladen oder Ceremonial Kakaos festzustellen, ob sich dort Criollo befindet. Wenn der Kakao weder aus Venezuela noch aus Mexiko stammt, dann ist es sowieso zu 99 Prozent kein Criollo. Ansonsten können wir höchstens anhand des Geschmacks versuchen einzuschätzen, woher der Kakao möglicherweise kommen könnte und welche Kakaosorten folglich in Frage kommen könnten. Das ist zweifellos keine leichte, wohl eher eine unmögliche Aufgabe, auch nach jahrelanger Auseinandersetzung mit Kakaos und deren fast unbegrenzter Geschmacksvielfalt.
Fazit:
Das Thema "Criollo" ist deutlich komplexer als man vermuten würde, teils Volksverdummung, teils Marketing, teils einfach zu wenig Wissen über Kakao-Genetik. Daher wird die Bezeichnung fast immer falsch benutzt wie Jan Schubert, einer der weltweit anerkanntesten Kakao-Experten, immer wieder in der Öffentlichkeit aufzuklären versucht.
Leider hält sich nach wie vor der Irrglaube, dass ein aromatischer Qualitätskakao automatisch ein Criollo sei. Wie ich mit diesem Artikel zu erklären versucht habe, muss ein Kakao in keinster Weise etwas mit Criollo zu tun haben, um besonders geschmackvoll zu sein und komplexe und spannende Aromen zu besitzen. In Sachen Aromen-Vielfalt und Komplexität ist nach aktuellem Forschungsstand derzeit ohnehin ein völlig anderer Kakao auf Platz 1 - nämlich der Chuncho aus Peru in Cusco, der als Urkakao und somit als der biologische Vorfahre des Criollos gilt.
In den meisten lateinamerikanischen Ländern wird mit Criollo etwas Einheimisches bezeichnet. Damit sind auch die älteren Kakaosorten gemeint, die vor den neuen Hybridsorten existiert haben. Welches Alter die älteren Kakaos tatsächlich haben, ist oft ungewiss und genetisch sind sie zu 99 Prozent sowieso keine Criollos.
Die wenigen echten "Criollos", die oft auch ziemlich reinsortig sein können, befinden sich ausschließlich in Venezuela sowie in Teilen Kolumbiens und Mexikos.
Wenn daher, wie es oft der Fall ist, Produkte wie zeremonieller Kakao oder Trinkschokoladen als Criollo angepriesen werden, ist tatsächlich überhaupt kein Criollo drin. Am öftesten kommt nämlich biologischer, vielfältig durchgemischter Kakao aus Peru oder Mittelamerika, nicht selten auch aus modernen Kreuzungen, zum Einsatz.
Guter Geschmack ist - was die meisten wohl nie und nimmer für möglich gehalten hätten - ebenso sehr wohl mit modernen Kakao-Kreuzungen möglich. Solange die Kakaobäume mit ökologischen Methoden in Mischkulturen in einem biodiversen Umfeld angebaut werden und alle vor Ort getätigten Verarbeitungsschritte wie Ernte, Fermentation und Trocknung mit größtmöglicher Sorgfalt und wissenschaftlicher Präzision durchgeführt werden, ist hohe Kakao-Qualität längst nicht mehr nur eine Frage der besonderen Genetik oder biologischen Seltenheit. Eines von vielen Vorzeigebeispielen in diesem Bereich ist meiner Meinung nach aus Guatemala die Bauern-Genossenschaft "Adioesmac" in der Region Cahabon, wo eine produktive Hybrid-Kakaosorte angebaut wird.